Quer durch Social Media wird über die Reaktion von DIE WELT im Fall „Plagiat Texterella“ gejubelt. Es stimmt, die Zeitung hat schnell reagiert und zunächst scheinbar die Wogen geglättet. Anders als die Kollegen sehe ich aber im Krisenmanagement weder Vorbild noch Lehrstück.

Die Reaktionszeit von einer Stunde auf den Blogbeitrag von Texterella aka Susanne Ackstaller, in dem sie auf eine schlechte Kopie ihres Artikels in der Zeitung DIE WELT hinweist, ist in der Tat bemerkenswert, zumal an einem Sonntag. Hier wurde gut beobachtet und schnell geschaltet. Inhaltlich hat man sich dabei aber nicht nur nachteilig präsentiert, sondern auch grosse Potentiale für die eigene Reputation verschenkt. Hier das Statement des Redaktionsleiters, das per Blogkommentar etwa eine weitere Stunde nach kurzer Meldung der Kenntnisnahme kam:

Kritische Analyse

Die Defizite im Krisenmanagement sehe ich in zwei wesentlichen Punkten:

  • Mein Hauptkritikpunkt ist das Abschieben des Fehlers auf die Redakteurin. Das ist a) ein charakterliches Manko und stellt b) die Integrität der Marke in Frage. Hier hätte sich DIE WELT geschlossen verantwortlich zeigen können, den Fehler also auf die gesamte Redaktion oder, noch besser, die Marke selbst beziehen können. Dadurch wäre Kollegialität, Teamintegrität und Seriosität präsentiert worden. Das hätte umso mehr gepunktet, als die verursachende Redakteurin ja ohnehin durch ihren Artikel öffentlich bekannt ist.
  • Es wird ganz offensichtlich ein Bauernopfer gebracht (Zitat: „Die junge Kollegin wurde streng ermahnt…“). Die Wortwahl („jung“, „streng“, „ermahnt“) zielt bewusst oder unbewusst darauf ab, die Kollegin als minderwertiges Mitglied der Redaktion darzustellen. Durch diese Distanzierung wird der Rest der Redaktion scheinbar aufgewertet. Gleichzeitig wird versucht, den Fehler als Schülerstreich zu bagatellisieren. Und, zur Besänftigung der Kläger: Die Schülerin wurde natürlich umgehend der Schule verwiesen. Der Schuss geht nach hinten los, denn DIE WELT erweckt hierdurch den Eindruck, auch unqualifiziertes Personal zu beschäftigen. In diesem speziellen Fall trat es dummerweise zu Tage, aber es stellt sich unmittelbar die Frage nach der „Dunkelziffer“.

Wiedergutmachung?

Bereits einen Tag später wird der Bloggerin Texterella eine Mode-Kolumne in der Zeitschrift angeboten. Tatsächlich scheint diese Maßnahme ein adäquates Mittel zur Besänftigung der Keimzelle und Multiplikatorin zu sein und erzeugt in den sozialen Medien prompt einen Tenor der Freude und Genugtuung. Mir ist aber auch das nicht genug, hier wurden bei der Darstellung wieder Pluspunkte verschenkt. Denn diese Offerte ist zu reaktiv, zu schnell und in der Absicht zu leicht durchschaubar.

Natürlich weiß ich nicht, was Redaktionsleiter und Bloggerin genau besprochen haben, entscheidend für die Reputation der WELT ist aber auch hier wieder, wie die Beauftragung öffentlich begründet wird. Optimal wäre gewesen, diese nicht als Reaktion auf den Plagiatsfall darzustellen, sondern den Plagiatsfall ganz offensiv als glückliche Fügung hervorzuheben, etwa so:

Durch unseren unverzeihlichen Fehler (…) sind wir auf Texterella aufmerksam geworden und haben uns ihren Blog angesehen. Dabei haben wir festgestellt, dass die Bloggerin hervorragende Beiträge verfasst, die unser Portfolio aufwerten könnten. Wir würden uns daher glücklich schätzen, Texterella für unser Team zu gewinnen.

Der abgeschriebene Beitrag auf DIE WELT wurde entfernt. Natürlich bleibt er trotzdem vielfach verlinkt. Angesichts der Diskussion in den Medien hätte man auch hier ein kleines Statement einfügen können. So findet man einen gereinigten Teppich vor und fragt sich, was da drunter gekehrt wurde.

 Fazit

DIE WELT hat schnell reagiert, inhaltlich aber wichtige Punkte für ihre Reputation verschenkt. Auch wenn das Krisenmanagement in diesem Fall zu den besseren Beispielen zählt, ist es noch weit von einem Vorbild entfernt.

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