Es hat mal wieder jemand eine dieser Studien gemacht, deren vermeintliche Ergebnisse gerade per Eye-catcher-Schlagzeilen in die Welt hinaus transportiert, geteilt, geliked, gefeatured und ge-aha!-t werden: „Gesichtsphotos wirken attraktiver, vertrauensvoller und kompetenter bei grösserem Kameraabstand!“. Das ist wirklich aufsehenerregend und ich sehe schon Armverlängerungen für iPhones als neuestes must-have-Gadget.

Natürlich haben die beschriebenen Effekte entscheidende Bedeutung in sozialen Netzwerken, besonders im Hinblick auf die so wichtigen Profilbilder, die ja als zentrales optisches Medium den Eindruck von einem User maßgeblich formen. Das Rad hat man mit dieser Studie allerdings nicht neu erfunden, sondern höchstens daran gedreht. Denn unter Photographen sind die Erkenntnisse alle hinlänglich bekannt und jeder Profi operiert gezielt mit den besprochenen Parametern.

Die Studie und vor allem die, wie üblich hundertfach leichtfertig wiedergekäute, Interpretation deren Ergebnisse krankt an einem entscheidenden Punkt: Man ging selbstverständlich von einem statischen Setup bei der Aufnahme aus, d.h. konstante Brennweite, konstanter Lichteinfall, konstante Belichtungseinstellungen. Sorry, das ist kompletter Blödsinn! Denn in der Praxis kommt so etwas bestenfalls bei hingeschluderten Handybildern vor.

Studienwechsel

Was in der Studie tatsächlich untersucht wird, auch wenn es im Zuge der Ergebnisverbreitung mal wieder untergeht, ist nämlich wirklich interessant: Weitwinkelverzerrungen von Gesichtsproportionen und die daraus resultierenden Einschätzungen bei einer Gruppe von Betrachtern. Trotzdem sind m.E. auch hier die Resümees aus den Beobachtungen schlichtweg falsch bzw. nicht repräsentativ und schon gar nicht zu verallgemeinern. Denn der Photograph weiss: Das hängt alles nun mal vom individuellen Gesicht ab. Je nach dem kann ein Gesicht mit den entstehenden Weitwinkelverzerrungen auch sympathischer wirken, alles eben eine Frage der vorliegenden körperlichen Gegebenheiten.

Aber mit Abstand!

Fakt ist, dass man sich in der Portraitphotographie die Tiefenkomprimierung eines Teleobjektivs zu Nutze macht. Indem man also z.B. im Studio mit 200mm Brennweite aufnimmt statt mit 50mm, verbunden mit entsprechend grossem Abstand zum Model, kann man ggf. eine vorteilhaftere Optik erreichen. Hierbei handelt es sich aber keinesfalls um eine Regel. Durchaus können auch Aufnahmen mit Weitwinkelobjektiven dann gut aussehen, wenn der Abstand entsprechend klein gewählt ist und die Verzerrungen folglich nur die Randbereiche des Bildes betreffen. Das ist durchaus Praxis bei Portraits in Zeitschriften, bekanntermaßen arbeitet z.B. das Magazin People oft damit. Aufnahmewinkel, Beleuchtung, Kamerahöhe, Verschlusszeit, etc. – es gibt viele weitere, rein technische Aspekte, die neben Abstand und Brennweite eine Rolle für die Wirkung eines Portraitphotos spielen.

Fazit

Speziell im Kontext von Social Media und der Produktion von Profilbildern spielen Proportionsverzerrungen in Gesichtsaufnahmen eine signifikante Rolle. Deren Einfluß auf die Sinneswahrnehmung und die nachfolgende, psychische Wirkung auf Sympathieempfinden & Co. ist ein relevantes Untersuchungsthema. Es aber einfach auf den Abstand zwischen Kamera und Person abzubilden, entbehrt jeder sachlichen Grundlage. Diese direkte Korrelation gibt es nicht.

Ein Profilphoto ist aus vielen Gründen ein entscheidender Teil der Personenwährung im Social Web. Wer es ernst meint und hier punkten will, der bezieht dafür jemanden ein, der etwas davon versteht: Einen Photographen. Denn am Ende der Photosafari durch den viele-Pixel-wenig-optische-Qualität-dafür-Instagram-Filter-from-Hell-Dschungel steht dann doch wieder die Notwendigkeit guten Handwerks.

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